16/03/2017

In der informellen Siedlung KwaNdengezi bei Durban kooperiert das globale Adresssystem what3words mit der Nichtregierungsorganisation (NGO) Gateway Health Institute, damit Rettungsdienste Menschen in Not helfen können.


Von Maddie Taylor

Ein Donnerstagmorgen in KwaNdengezi. Vor dem Gemeindezentrum versammeln sich Menschen auf einem maroden Asphaltplatz. Lachende Frauen unterhalten sich mit ihren Nachbarinnen. Viele tragen Babys auf den Hüften. Männer stehen in Gruppen zusammen oder lehnen sich lässig an Wände und beobachten neugierig einen bunten Handwagen, der in der Mitte des Platzes aufgestellt wird. Dieser ist der erste seiner Art und dient nicht als Verkaufsstand für Obst, Reinigungsmittel oder billige Handys. Nein, hier können sich die Township-Bewohner zum ersten Mal Adressschilder für ihre Häuser herstellen lassen.

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Die what3words-Adress-Druckmaschine


11.000 Haushalte, keine Adressen

KwaNdengezi in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal liegt ganz im Westen der Townships von Durban. Ungefähr die Hälfte der städtischen Bevölkerung Südafrikas lebt in Townships und informellen Siedlungen. Das sind 38 % der Bürger im arbeitsfähigen Alter, die aber gleichzeitig auch 60 % der Arbeitslosen des Landes ausmachen. In KwaNdengezi leben rund 54.000 Menschen in 11.000 Haushalten. Das können Vollziegelgebäude sein, aber auch selbstgebaute Hütten aus Wellblech und Holz. Sie verteilen sich auf grünen Hügeln und sind unregelmäßig durch unbefestigte Straßen miteinander verbunden. KwaZulu-Natal ist eine der ärmsten Provinzen Südafrikas. Hier haben nur 73 % der Haushalte Zugriff auf fließendes Wasser, und es gibt viele Gesundheitsprobleme, wie HIV, AIDS, Tuberkulose und Unterernährung bei Kindern. 37 % der schwangeren Frauen sind HIV-infiziert. Das sind 10 % mehr als im Landesdurchschnitt.

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Die Satellitenansicht von Google Maps zeigt für das Gebiet Hunderte inoffizieller Straßen und Tausende von Haushalten ohne Adressen.


KwaNdengezis chaotische Anordnung macht es fast unmöglich, einen spezifischen Ort zu finden oder jemandem zu sagen, wo man lebt. Die Mehrheit der kreuz und quer verlaufenden Straßen haben keine offiziellen Namen und Schilder gibt es auch keine. Die wenigen Gebäude mit Hausnummern folgen keiner logischen Ordnung. Bewohner müssen sich auf Beschreibungen verlassen, wie „an der Kirche links abbiegen, dann rechts an der Schule und bis zur roten Tür“. Solche Adressangaben werden schnell missverstanden oder vergessen. Außerdem braucht man dafür detaillierte Ortskenntnisse und viel Zeit, um sie zu sagen. Da es keine Straßenbeleuchtung gibt, ist es abends fast unmöglich sich an den in Adressbeschreibungen genannten Punkten zu orientieren.

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„Ich bin im medizinischen Notfalldienst in ganz Durban tätig. In den Townships ist das sehr schwierig, da es keine Straßennamen und Hausnummern gibt.“
Thembinkosi Lesley Dladla – Schichtleiter im medizinischen Notfalldienst

Thembinkosi Lesley Dladla – EMRS Shift Supervisor

Wenn Mitarbeiter von NGOs und Rettungsdiensten als Außenstehende in diese Siedlungen kommen, haben sie große Probleme, die Leute zu finden, denen sie helfen möchten. Die Teams der örtlichen Notarztwagen, die in ganz Durban unterwegs sind, müssen bei Einsätzen in Townships wiederholt Passanten stoppen, um sich den Weg beschreiben zu lassen. Und selbst dann bekommen sie meist nur nahegelegene Orientierungspunkte genannt, wie eine Schule, Kirche oder ein Geschäft, wo sie dann jemanden treffen, der sie zum eigentlichen Einsatzort bringt. In KwaNdengezi dauert es daher im Durchschnitt zwei bis drei Stunden, bis Hilfe kommt und oft noch länger. Da in Notfällen aber jede Sekunde zählt, sterben Menschen, während der Krankenwagen sich durchfragen muss.

Adressen als Lebensretter in südafrikanischen Townships


Ein Mann und seine Mission

Dr. Coenie Louw, der Gründer und Direktor des Gateway Health Institute, ist eine Schlüsselfigur für die Verbesserung der medizinischen Versorgung in der Region. Das Institut unterhält wichtige Community-Programme in den Townships und informellen Siedlungen des Landes. Es hilft bei der Versorgung mit Medikamenten, ermöglicht die Notfallversorgung von Gebärenden, erfasst die Lage von Krankenhäusern und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und identifiziert sogar kritische Punkte, an denen möglicherweise Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Allerdings hängt der Erfolg solcher Projekte davon ab, dass man Menschen und ihre Häuser auch finden kann – und genau das erschwert die Arbeit der Organisation schon seit vielen Jahren.

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Dr. Coenie Louw, Gründer und Direktor des Gateway Health Institute


„Ich habe zwei Jahre damit verbracht, eine Möglichkeit zu finden, wie man genau den Ort bestimmten kann, an dem sich eine schwangere Frau in einer Notlage befindet“, so Louw.

In KwaNdengezi bringen 50 % der Frauen ihre Kinder zu Hause zur Welt und Rettungsdienste brauchen einfach zu lange, wenn bei der Geburt etwas schief geht. Louw wollte daher unbedingt eine Lösung finden, um den Menschen zu helfen. Er experimentierte mit den Daten von Mobilfunkmasten, um die Notfallanrufe mithilfe eines Netzes aus trigonometrischen Punkten zu lokalisieren. Dabei stellte er allerdings fest, dass die daraus resultierenden Orte von den eigentlichen Standorten bis zu 3 km weit weg liegen konnten.


Dreiwortadressen als Problemlöser

TAls Louw schließlich frustriert im Internet zu surfen begann, fand er die perfekte Lösung: what3words. Das globale Adresssystem hat die Welt in ein Netz aus 3 m x 3 m großen Quadraten eingeteilt und jedem eine eindeutige Dreiwortadresse gegeben. Man kann es beispielsweise nutzen, um Freunde bei ///esel.dabei.hübsch im Park zu treffen oder um sich ein Paket zum Büroeingang bei ///welche.tischtennis.bekannte liefern zu lassen. Mit what3words können Orte punktgenau und extrem einfach kommuniziert werden. Und ganz egal, wo auf der Welt – jeder hat damit eine präzise Adresse.

Für KwaNdengezi sind Dreiwortadressen die ideale Lösung. Das what3words-Netzsystem bedeutet, dass jeder Teil der Siedlung – inklusive Häuser, Gemeindezentren und Anlagen wie Wasserpumpen – bereits eine zugeteilte und feste Adresse hat. Da jede Adresse aus nur drei Wörtern besteht, ist sie einfach zu merken und per Telefon oder SMS weiterzugeben. Die kostenlose what3words-App kann überall genutzt werden und funktioniert auch offline. Aufgrund ihrer kleinen Dateigröße eignet sich die App selbst für die einfachsten Smartphones.

Louw arbeitet mit einem Team von elf jungen Leuten, die alle arbeitslos waren und jetzt – nach entsprechender Schulung – den Bewohnern dabei helfen, ihre Dreiwortadressen zu etablieren und zu nutzen. Die Adresse wird auf eine spezielle Karte geschrieben. Die meisten bewahren diese sicher in ihrer Bibel auf, wo sie im Notfall schnell gefunden wird. Louw hat die örtlichen Notfalldienste auch darin geschult, wie man mit Dreiwortadressen, die sie per Telefon oder SMS bekommen, Orte schnell finden und ansteuern kann.

Heute testet Louw mit seinem Team den nächsten, großen Schritt im KwaNdengezi-Adressenprojekt – eine mobile Adress-Druckmaschine, die gemeinsam mit what3words gebaut wurde. Der bunte Wagen druckt Dreiwortadressen auf auffällige und haltbare Schilder, die Bewohner an ihren Häusern anbringen können.

Wer seine Adresse bereits vom Gateway Health Institute bekommen hat, kann sein Adressschild an dem Stand abholen. Ansonsten hilft Coenies Team beim Finden der Adressen. Dafür wird ein Tablet genutzt, das eine Luftbildkarte der Township zeigt. Die Bewohner identifizieren damit ihr Haus und zoomen solange, bis sie sehen können, in welchem Quadrat ihre Eingangstür liegt. Dann wird das passende Dreiwort-Adressschild vor Ort gedruckt – und die stolzen Besitzer können es direkt mit nach Hause nehmen.

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Township-Bewohner beim Suchen ihrer Dreiwortadressen


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Bewohner von KwaNdengezi informieren sich über what3words-Adressen


Mit den Dreiwortadressen können die Menschen in KwaNdengezi zum ersten Mal genau und verlässlich sagen, wo sie wohnen. Für schwangere Frauen macht es einen Riesenunterschied, wenn sie von Gesundheitsdiensten für notwendige Voruntersuchungen gefunden werden können. Falls es bei Geburten zu Problemen kommt, wissen Rettungssanitäter sofort, wo sie hinmüssen, um möglicherweise lebensrettende Hilfe leisten zu können. Bewohner können ihre Dreiwortadresse auch in einer Datenbank speichern, damit Gesundheitsbehörden für die dort lebenden Menschen eine elektronische Akte anlegen können.

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Eine Frau ruft mithilfe einer Dreiwortadresse einen Krankenwagen


Die meisten Menschen in KwaNdengezi hatten noch nie eine Wohnadresse und müssen sich erst daran gewöhnen. Die Adressschilder an den Häusern sind daher auch eine Erinnerung, die neuen Adressen zu nutzen. Jegliche Art von Dienstleister kann damit zudem einfacher das richtige Haus lokalisieren.

Abgesehen von Privathäusern identifiziert Gateway Health auch die Dreiwortadressen für wichtige örtliche Anlagen, wie z. B. lokale Regierungsstellen, medizinische Einrichtungen und Trinkwasserpumpen. Auch sie werden mit Schildern versehen und in einer detaillierten Karte verzeichnet, damit Bewohner, Unternehmen und Organisationen wichtige Einrichtungen finden können und so der Lebensstandard verbessert wird.

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Schwangere Frauen haben mit Dreiwortadressen mehr Sicherheit


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Adressdrucker in Aktion


Eine globale Lösung

Adress-Probleme betreffen nicht nur die Bewohner von KwaNdengezi bzw. Menschen in Südafrika: Weltweit haben vier Milliarden Menschen keine zuverlässige Adresse. Die Bereitstellung und Wahrnehmung von grundlegenden Menschenrechten, wie medizinische Versorgung oder Rechtsbeistand, wird so erschwert. Auch ist es nahezu unmöglich, ohne eine richtige Adresse ein Geschäft zu gründen oder sich etwas liefern zu lassen.

Da Internetzugang und die Nutzung von Smartphones gerade in den ärmsten Regionen der Welt wachsen, haben immer mehr Menschen die Möglichkeit, an der Online-Wirtschaft teilzunehmen. Allerdings sind schlechte Adressen in diesem Zusammenhang eine größere Hürde als Kosten oder Internetzugang. what3words gibt jedem in der Welt eine zuverlässige Adresse und trägt damit dazu bei, Chancengleichheit zu schaffen und ärmere Regionen zu stärken.

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„Weltweit gibt es eine Milliarde Menschen, die in informellen Siedlungen und Slums wohnen, und es wird erwartet, dass sich diese Zahl bis 2050 verdreifacht.“

UN-Habitat, 2016

Das Gateway Health Institute ist einer von vielen Partnern, mit denen what3words in Afrika zusammenarbeitet. Die Elfenbeinküste und Dschibuti haben Dreiwortadressen als nationalen Adressstandard für die Post eingeführt. Damit können fast 24 Millionen Menschen in Afrika ihre Post nach Hause bekommen, viele davon zum ersten Mal. what3words wird auch von In2Care genutzt. Diese im Gesundheitsbereich aktive Nichtregierungsorganisation verteilt und verwaltet Moskitonetze in Tansania und hilft so dabei, die Ausbreitung von Krankheiten unter Kontrolle zu halten. In Äthiopien arbeitet das Lieferunternehmen DeliverAddis mit Dreiwortadressen, um Kunden, die noch nie eine verlässliche Adresse für Zustellungen hatten, effizient mit Takeaway-Gerichten beliefern zu können.

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Eine Bewohnerin KwaNdengezis mit ihrer ersten Adresse

Zurück nach KwaNdengezi: Louw und sein Team von Gateway Health machen Schluss für den Tag, nachdem gut 100 Menschen ihre Dreiwortadressen ausgedruckt und stolz an ihren Häusern angebracht haben. Louws Ziel ist es, dass jedes Haus in der Township eine Adresse bekommt. Er weiß, dass dies nicht einfach sein wird, aber der heutige Tag hat bewiesen, dass es möglich ist. Was in KwaNdengezi erreicht wurde, möchte er dann in ganz Südafrika wiederholen. Auf diese Weise kann er einen wichtigen Beitrag leisten, damit sich die Situation der vier Milliarden adresslosen Menschen weltweit verbessert. Vusani Mbanjwa ist Gemeinderat in KwaNdengezi und teilt Louws Überzeugung, dass die heutige erfolgreiche Aktion erst der Anfang war.

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„Wir sind Vorreiter. In dieser Township beginnt etwas, das sich von hier aus im ganzen Land verbreiten wird. Ich bin sehr stolz darauf, bei diesem neuen Projekt dabei zu sein.“

Vusani Mbanjwa – Gemeinderat